Gewalt gegen Frauen in Deutschland 2021
Triggerwarnung für folgende Inhalte: Gewalt an Frauen, Mord!
Die Kriminalstatistische Auswertung des Bundeskriminalamts zu Partnerschaftlicher Gewalt für das Berichtsjahr 2021 attestiert die Hellziffer von 143.604 Betroffenen partnerschaftlicher Gewalt. Auch wenn die Zahl im Vergleich zu 2020 um -3% gesunken ist, ist sie im Verlauf der letzten 5 Jahre trotzdem um +3,4% gestiegen. Die folgenden versuchten und vollendeten Delikte sind beinhaltet:
- Mord und Totschlag,
- Körperverletzungen,
- sexueller Übergriff,
- sexuelle Nötigung,
- Vergewaltigung,
- Bedrohung,
- Stalking,
- Nötigung,
- Freiheitsberaubung,
- Zuhälterei und Zwangsprostitution.
In 80,3% der erfassten Fälle sind Frauen die Betroffenen partnerschaftlicher Gewalt (2020 waren es 80,5%). Insgesamt wurden 305 Frauen Opfer von (versuchtem) Mord oder Todschlag in einer (Ex-) Partnerschaft. 113 Frauen sind durch partnerschaftliche Gewalt 2021 verstorben – etwa eine jeden Dritten Tag. Etwa jeden Tag fand ein Tötungsversuch statt.
Alle 4,5 Minuten wird eine Frau in Deutschland Opfer partnerschaftlicher Gewalt – alle 45 Minuten schwerer körperlicher Gewalt. Allein 3.527 Frauen waren von „Vergewaltigung, sexueller Nötigung“ und „sexuellen Übergriffen“ betroffen – das ist alle 2,5 Stunden.
Das Ausmaß von Partnerschaftsgewalt könnte sich sogar noch mehr vergrößert haben, ohne sich in polizeilich registrierten Fällen niederzuschlagen. Denn die Auswertungen des Hilfetelefons „Gewalt gegen Frauen“ zeigen, dass die Zahl der Beratungskontakte in den Corona-Lockdowns erheblich zugenommen hat (über 51.000 Beratungen im Jahr 2020, 15% mehr als 2019). In der Konsequenz gibt die BKA-Statistik nicht das gesamte Ausmaß geschlechtsspezifischer Gewalt wider. Denn die aufgeführten Zahlen bilden nur jene Straftaten ab, die überhaupt zur Anzeige gebracht und die im Rahmen einer (ehemaligen) Partnerschaft verübt wurden. Folglich ist die Dunkelziffer weitaus höher: Bundesfamilienministerin Lisa Paus erläuterte, es sei davon auszugehen, dass derzeit zwei Drittel der weiblichen Betroffenen nicht zur Polizei gehe. Nach sogenannten Dunkelfeldstudien ist jede dritte Frau in Deutschland mindestens einmal in ihrem Leben von Gewalt betroffen. Das sind mehr als 12 Millionen Frauen, so das BMFSFJ. Genaue Zahlen zu geschlechtsspezifischer Gewalt außerhalb von Partnerschaften werden vom BKA gar nicht erst explizit statistisch erfasst, sodass hier auch das Hellfeld unbekannt ist. Folglich kann man auch keine Angaben zu der Anzahl von Femiziden in Deutschland machen, denn diese werden schließlich auch außerhalb von Partnerschaften verübt. Die Zahl der Femizide in Deutschland bleibt also eine unbekannte, da Tatmotive bei Tötungsdelikten von Frauen nicht hinreichend ermittelt werden. Zudem hat die Bundesregierung nach wie vor keine Definition von Femiziden anerkannt, auch nicht die der WHO, die unter einem Femizid die Tötung einer Frau versteht, weil sie eine Frau ist. Dadurch werden das Problem und die strukturellen Ursachen wie hierarchische Geschlechterverhältnisse, Unterdrückung und Misogynie nicht erkannt und als „Familien- oder Beziehungsdrama“ individualisiert und verharmlost. Aus diesem Grund fordert UN Women Deutschland die Aufnahme frauenfeindlicher Gewalt und Frauenhass als eigene Kategorie in der polizeilichen Kriminalstatistik sowie Ermittlungsbehörden in diesem Bereich zu schulen und zu sensibilisieren.
Es fehlen viele Frauenhausplätze und eine Gesamtstrategie zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen – die Istanbul Konvention ist in Deutschland noch nicht ausreichend umgesetzt. Zudem gibt es weitere Probleme beim Opferschutz. Betroffene Frauen sehen sich oft erheblichen Hürden gegenüber, wenn sie die Täter anzeigen wollen. Verletzungen müssen professionell erfasst werden, um vor Gericht sicher als Beweise zu gelten. Die Kosten hierfür tragen aber oft die Betroffenen. Auch die Gerichtsverfahren selbst stellen eine große Belastung dar, da sie von Victim-Blaming geprägt sind und oft retraumatisieren und nur selten zur Verurteilung des Täters führen. Kommt es zu einer Verurteilung, fällt das Strafmaß meist vergleichsweise gering aus. Gewaltdelikte im häuslichen Bereich, dem sog. sozialen Nahraum, werden meist deutlich geringer bestraft, als dieselben Delikte im öffentlichen Raum, da der Kontext einer Beziehung strafmildernd wirkt. Auch behalten Täter häufig das Sorgerecht für die gemeinsamen Kinder, was die Betroffenen weiterhin zu regelmäßigem Kontakt zwingt.
Zwar hat sich der Bund ab 2020 mit einem Förderprogramm in Höhe von 120 Millionen Euro für die nächsten vier Jahre zu einem Ausbau von Beratungsstellen verpflichtet, jedoch ist dies nur ein erster Schritt. Erheblichen Bedarf gibt es auch in der präventiven Arbeit mit Tätern. So gibt es beispielsweise in Berlin nur eine Einrichtung, die speziell mit Tätern häuslicher Gewalt arbeitet. Dabei sollte das Ziel nicht nur sein, Betroffene von Gewalt zu schützen, sondern zu verhindern, dass diese überhaupt stattfindet.
Weiterführende Informationen zu Zahlen in Deutschland
Die Broschüre „#Keine Mehr – Femizide in Deutschland“ (2020) bietet eine umfassende Übersicht zum Thema Femizide in Deutschland und ist damit eine von nur sehr wenigen Publikationen, die sich dem Thema so detailliert widmet.
Für Europa fordert EIGE „Femicide: Name it, count it, end it!“
Deutschlandweite Recherche zur Lage während der Corona-Pandemie.